21. August – 19. September 2020
Der erste Zugang zur Einzelausstellung von Alex Grein im kjubh Kunstverein ist das eigene, bewegte Bild und ein haptischer, analoger Eindruck der Einladungskarte: aus silbriger Spiegelfolie gedruckt, triggert sie eine Interaktion mit der Oberfläche: Das Wölben und Biegen des Kartons verändert die Schärfe des Bildes, hinterlässt sichtbare Abdrücke. Die Folie verzerrt und verunklärt, gibt aber keinem Bild den Vorzug, da alle Farb- und Formeindrücke der Umgebung auf der Fläche reflektiert werden und je nach Bewegung wieder verschwinden. Die Karte passt sich nicht nur ihrer Umgebung an, sie wird zum Display für Lichtreflexe. Sie lässt auch an einen Screen oder Bildschirm denken, der – wie im Medienglossar der Universität Chicago vermerkt ist – sowohl abschirmt, als auch Informationen überträgt, als Oberfläche reflektiert und als Medium archiviert. Dieser Screen kann auch als „übergangsarchitektur“ (Giuliana Bruno) verstanden werden, der einen eigenen Raum und Bereich markiert. Für einen Sekundenbruchteil ist die Karte zum temporären Speicher aller eingespiegelten Bilder geworden, die nur schemenhaft greifbar sind. Ihre Reflexe werden eingefangen. Das analoge Selfie fordert zum digitalen Schnappschuss mit der Smartphonekamera heraus, zu einer fotografischen Notiz des Tages.
Wie der Ausstellungstitel nahelegt, lässt sich formal ein Widerschein von der Spiegelfläche zu den drei im Ausstellungsraum verteilten Bodenarbeiten herstellen, eine runde und zwei rechteckige polierte Aluminiumwannen sind sowohl Auffangbecken als auch Speicher für ausgedruckte Handyfotos aus dem Archiv der Künstlerin. An biegsamen, daran befestigten iPhone- und iPad- Halterungen sind rechtwinklige Eisblöcke erkennbar, in deren Mitte jeweils eines der archivierten Fotos durchschimmert. Doch diese an experimentelle Versuchsanordnungen erinnernden technischen Vorrichtungen, sind nur scheinbar statisch. Sie unterliegen einem Prozess, da die Eispads langsam schmelzen und die Tropfen in den Wannen ein rhythmisches Pattern erzeugen. Auf wasserlösliches Papier gedruckt und im Eisblock zunächst konserviert, schälen sie sich wie bei einem archäologischen Fund aus dem Display, verlieren nach und nach ihr Trägermaterial, verändern ihre Farbe, verbinden sich schließlich mit der Flüssigkeit, transformieren sich. Die an Fotowannen erinnernden Behältnisse dokumentieren die Vorgänge eines Tages.
Alex Grein ist bereits in ihrer Installation Neptun Technologies von 2015 der Materialisierung, Verflüchtigung und Verflüssigung digitaler Bildarchive nachgegangen, in dem sie täglich Situationen aus ihrer Umgebung mit dem Handy dokumentierte und jedes Bild direkt an einen Epson X-322- Drucker im Ausstellungsraum der Philara Sammlung Düsseldorf schickte. Dort setzte sich ohne sichtbare Bildquelle der Drucker in Gang und produzierte Ausdrucke in DIN A4, die dann in eine sonst für fotografische Entwicklungen verwendete mit Wasser gefüllte Schale fiel und am Ende des Tages zu Sedimenten aus Bildern, Papierpulp und Farbschlieren wurden. Im Unterschied zu der früheren Arbeit, die das Zufällige und Flüchtige der Aufnahme thematisiert und die Fotografien, statt in der Datencloud zu verbleiben, unmittelbar auf Trägermaterial visualisiert und wieder verflüchtigt hat, arbeitet Alex Grein bei r e f l e x mit ihrem bestehenden und stetig anwachsenden Bildarchiv, das auch aus gefundenen Situationen besteht, die jedoch zumeist Displays, spiegelnden Oberflächen und Bildformate zeigen, also den Prozess des Bildermachens und Exponierens selbst reflektieren. Sie wurden auf dem zellstoffartigen, faserigen Papier in den iPhone- und iPad-Formaten ausgedruckt und in einem Kasten wiederum zu einem analogen Archiv, aus dem die Ausstellungsaufsicht jeweils für den Tag eines auswählen, um es dann im Eis zu archivieren. Die Entnahme aus dem Archiv wird von der Künstlerin weiter delegiert. Für die Installation bedarf es also einer Vervollständigung und Auswahl durch die Aufsicht der Ausstellung.
Die Halterungen für mobile Endgeräte dienen üblicherweise einem erleichterten Umgang mit digitalen Inhalten, um die Gesten des Vergrößerns, Wischens und Bearbeitens von Bildern und die Arbeit am Display zu vereinfachen. Die Eisblöcke werden hier stattdessen zu Platzhaltern des Digitalen, sie erzeugen aus dem Fluss der täglichen Bildeindrücke ein Bestimmtes, im Hervorheben eines Moments und durch das Einfrieren buchstäblich eine Stillstellung des Bildes, die Roland Barthes in Die helle Kammer „als Zeichen, die nicht richtig abbinden, die gerinnen wie Milch“ beschrieben hat. Barthes hatte sowohl auf das Unbewegliche der Fotografie, als auch auf ihren Aufforderungs- und Zeigegestus hingewiesen, der durch die verlängerten Displayvorrichtungen noch verstärkt wird. Film sei wie Feuer, Fotografie wie Eis, schrieb der Regisseur und Filmtheoretiker Peter Wollen in seinem Essay 1984 zur analogen Fotografie. Das in der Zeit Konservierte, Statische, Eingefrorene des Mediums birgt, so Wollen, ein Paradox mit sich, da darin das Ereignis und die Bewegung aufgehoben sind. In Zeiten digitaler Bilder haben sich die Gegensätze von Stillstellung und Bewegung nivelliert, nicht nur mit Gifs und Smartphone-Live-Bildern, sondern durch die Verfügbarkeit, Formatierung und Bearbeitung von Bilddateien sowie ihrem beständigen Zirkulieren. Alex Grein blickt mit ihrem experimentellen Setting hinter die Kreisläufe und Wege digitaler Bilder, die von der Produktion, Bearbeitung und Archivierung des Fotografischen in einem umgekehrten Vorgang sichtbar gemacht werden: Mit einer temporären Materialität des stoffartigen Papiers und gekühlt konserviert werden sie für einen Moment haptisch und visuell erfahrbar, um sich dann mit der Schmelze in einem ähnlichen Vorgang des Vergessens und Verbleichens aufzulösen. So lässt uns die Künstlerin an dem oft weniger thematisierten Verfallsprozess teilhaben und bewahrt die Surrogate der Bilder als Flüssigkeit in Flaschen auf.
Am Eingang der Ausstellung ist noch ein kleiner, mit Aluminium gerahmter Ink-Jet Print der Pictures on the Screen-Serie von Alex Grein zu sehen. Polished von 2019 lässt die Spiralform eines Miniaturteesiebs erkennen. Der Raum dahinter scheint abstrakt und nur durch Schattenspiel geprägt. Die Ebenen von Wirklichem und Repräsentierten sind verunklärt, erst das Verfahren verdeutlicht, dass die Künstlerin einen Gegenstand auf ihrem Computerscreen mit einem Foto platziert hat. Der Screen wird hier zum Interface, zur Schnittstelle zwischen Gegenstand und Bild. Er wird auch zur Projektionsfläche der eigenen Wahrnehmung, die zwischen verschiedenen Räumen changiert und unsere Aufmerksamkeit von den Bildern auch auf die Dispositive, auf die rahmenden Gerätarchitekturen richtet, die für uns zunehmend Vehikel und Interfaces für die Reflexion unserer Umgebung darstellen.
r e f l e x lässt uns nicht nur an diesen fragilen und oftmals unsichtbaren Kreisläufen teilhaben, sondern lenkt unsere Aufmerksamkeit auch auf unsere eigenen Reflexe des Umgangs mit Bildern und ihren Displays.
Lilian Haberer