15.Februar bis 15. März 2025 In Bastian Gehbauers Einzelausstellung METAMORPHOSIS zeigt der Kölner Kunstverein kjubh Arbeiten aus CORPUS (2023) und SURROGAT (2025). In diesen beiden Serien spielt Gehbauer unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) mit der Wahrnehmung des Verhältnisses zwischen Bild und Realität. Die Arbeiten des Künstlers sind geprägt von einem Interesse, das Abstrakte im Konkreten zu finden. Gleichzeitig thematisieren seine stets inszenierten, einer höchst eigenen Bildsprache folgenden Werke die Fotografie als subjektives Medium, das jedoch oft eingesetzt wird, um objektiv zu beschreiben, was als Realität gilt. An dieser Bruchstelle setzt Gehbauer an und eröffnet damit Spekulationsräume über Wirklichkeit, Gesellschaft, Erinnerung und Fiktion. Der Dokumentarfotografie liegt die Annahme einer strikten Trennung zwischen Bild und Realität zugrunde. Verstärkt wird diese Gewissheit durch den objektiven Charakter der Aufnahmen. Sie halten die Gegenwart – die zu diesem Zeitpunkt herrschende Realität – für kommende Generationen fest. Basis für Gehbauers neue Serie SURROGAT (2025), deren Bilder auf eine Glasscheibe im Raum projiziert werden, sind Fotografien aus der Messbildstelle der ehemaligen DDR. Messbilder sind möglichst objektive, oft in Zentralperspektive aufgenommene Fotografien von Gebäuden und Innenräumen, um diese im Fall einer Zerstörung, wie durch Krieg, möglichst originalgetreu wieder aufbauen zu können. Sie dokumentieren und konservieren die Gegenwart. Die Archive der Deutschen Fotothek, in denen diese Messbilder aufbewahrt werden, bilden so eine Art Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft. Einen Sonderfall im „Genre“ dieser Messbilder erkannte Gehbauer beim Sichten des Archivmaterials anhand der Fotos, die die Denkmalschützer in der DDR von aristokratischen und gro.bürgerlichen Gebäuden aufgenommen hatten. Deren Räume wurden bis 1989 nämlich nicht zum Wohnen, sondern als Kitas oder für andere Sozialeinrichtungen genutzt. Aus den Fotos dieser renovierungsbedürftigen Innenräume, deren prachtvoller Stuck noch auf andere Zeiten schließen lässt, hat Gehbauer mit Hilfe einer KI Bilder fiktiver Interieurs erstellt, in denen rätselhafte Objekte und nichtfunktionierende Türen Gefühle von Verlorenheit und Isolation wie in Franz Kafkas Roman Das Schloss (1926) hervorrufen können. Schaltet man beim Betrachten vom Modus der entspannten Interesselosigkeit – die sowohl der Kunstrezeption (denn Kunst hat keinen Wahrheitsanspruch), als auch der meist vertrauensvollen Haltung gegenüber den als wahr geltenden dokumentarischen Fotos in einem Archiv eigen ist – in einen Modus des vernunftgeleiteten .berprüfens, dann wird deutlich, dass die Bilder „nicht echt“ sein können. So wäre der Boden unter der Last eines zwanzig Tonnen schweren Felsbrockens schon längst eingebrochen – und wie hätte der riesige Stein überhaupt in den Raum transportiert werden können? Auch die langen Schatten in den traumhaften Gemälden von leeren Plätzen und architektonischen Strukturen des italienischen Künstlers Giorgio de Chirico (1888-1978) entsprechen meist nicht den physikalischen Gesetzen. Sie sind übertrieben lang, fallen in ungewöhnliche Richtungen oder scheinen von mehreren Lichtquellen gleichzeitig erzeugt zu werden. Damit verweisen sie auf eine zeitlose Welt dessen, was zwar nicht in der Realität, aber dafür im Geistigen – sowie als Abbild des Geistigen in Bildern – auf eine eigene, surreale Art existiert. Indem Gehbauer die Archivaufnahmen mit hilfe der KI ihrer eigentlichen Dokumentarfunktion entledigt, und funktionslose oder organische Objekte in die Räume hinein imaginiert, fügt er der Erzählung über die zu einem bestimmten Zeitpunkt geltende Gegenwart, die in Form der Fotos im Archiv für die Zukunft konserviert wird, ein poetisches, unwägbares Moment hinzu, das sich der gewohnten Ordnung entzieht. Ebenen von Zeitlichkeit überlagern sich. Und das, was als normative Ordnung gilt – stabilisiert durch staatliche Wahrheitsansprüche wie durch Messbilder – wird mit Elementen des Mythos, also fiktionalen und künstlerischen Anteilen vermischt, sodass alternative Wahrheiten denkbar werden. Denn was wissen wir wirklich, wenn bestimmte Erkenntnisse vom Kontext abhängig sind? Diese Frage stellt sich anhand der in der Ausstellung gezeigten Arbeiten aus Gehbauers Serie CORPUS, die 2023 während seines Fellowships an der Deutschen Fotothek entstanden ist. Die Rolle der KI dreht er hier um: Während sie in SURROGAT selbst Bilder, oder auch „Pixelansammlungen“, wie Gehbauer sie nennt, auf Basis der Anweisungen des Künstlers erstellte, fütterte er die KI für CORPUS mit bereits vorhandenen Fotografien und ließ sie Beschreibungen davon erstellen. Es handelt sich dabei um Negative aus dem Nachlass des Fotografen Friedrich Weimer (1913–2008). Dieser hatte sich seit den 1950er Jahren auf die Erstellung von Möbelfotografien in Auftrag für die Leipziger Messe und verschiedene Möbelhersteller spezialisiert. Die Bilder aus Gehbauers Auswahl zeigen aber keine Interieuraufnahmen, sondern isoliert fotografierte M.belstücke vor neutralem Hintergrund: einen Lattenrost, einen Schrank, eine Matratze. Ihrem ursprünglichen Kontext entrissen, wirken die Gegenstände auf den ersten Blick rätselhaft, gar skulptural. Es ist absurd, aber tatsächlich erkennt die KI, die Gehbauer mit den Bildbeschreibungen dieser Fotos beauftragt hat, in den M.belstücken Skulpturen des Minimalismus. In dem an der Wand lehnenden Lattenrost sieht sie eine Skulptur des US-amerikanischen Künstlers Donald Judd und der Schrank ist laut KI eine Skulptur der britischen Bildhauerin Rachel Whiteread. Die Arbeit der KI ist der Arbeit von Gehbauer dabei gar nicht so fern: Gemein ist ihnen das Moment des Auswählens. Aus dem Konvolut an Informationen, mit dem die KI bislang gefüttert wurde – deren vermeintliches „Wissen“ ja auch auf einer von Menschen gemachten Auswahl beruht – wählt die KI die passenden Informationen als Antwort auf die Anfrage Gehbauers aus. Und Gehbauer wiederum wählt auch aus: Egal ob er im Archiv alte Aufnahmen durchforstet und daraus einzelne auswählt, oder selbst als Fotograf agiert, und mit dem Akt des Fotografierens Ausschnitte aus seiner Umgebung auswählt. Menschen tauchen in Gehbauers Arbeiten nicht auf, allerdings thematisieren keine Bilder „Allzumenschliches“: Ist das, was wir sehen wahr? Können wir uns auf unsere Augen verlassen? Gibt es einen Unterschied zwischen dem, was im Moment des Auslösens wahr gewesen ist, dem, was heute wahr ist, und dem, was einmal wahr sein wird? Und, wenn es nicht wahr sein sollte, was ändert das eigentlich? Gehbauers Ansatz dabei eigen ist, dass er in den fotografischen „Beschreibungen“ von Wirklichkeit die Stellen ausmacht, an denen künstlerische Fiktion und archivarische Dokumentation ineinander fallen können. An diesen Bruchstellen greift er ein und höhlt sie aus, sodass ein alternativer Deutungsraum entsteht, indem Wahrheit auch fiktional und Fiktion mitunter wahr ist. Hin und wieder tut man gut daran, einen solchen Raum zu betreten.