Wortwirkerei
zu den Arbeiten von Claudia Kallscheuer
Bei den Recherchen zum Text für Claudia Kallscheuer stieß ich auf das Wort „Tapisserien“ und im Zusammenhang damit auf das Wort „Bildwirkerei“, das mich sofort ansprach. In Wikipedia ist Folgendes nachzulesen: „Der von der Wissenschaft wiederaufgenommene mittelalterliche Ausdruck Bildwirkerei bezeichnet sowohl die Technik des Einwirkens von Bildern und Motiven in ein textiles Flächengebilde als auch das Erzeugnis dieser Technik, die Tapisserie“. Wenn also in klassischen Tapisserien Bilder und Motive in textile Flächen eingearbeitet wurden, könnte man Claudia Kallscheuers Arbeiten als „Wortwirkerei“ bezeichnen, denn im Gegensatz zur traditionellen Tapisserie arbeitet sie Worte in textile Flächen ein. Häufig nutzt sie als Untergrund eine einfache, leichte Baumwolle.
Ihre Arbeiten bewegen sich also ganz ausserhalb der Tradition, nicht nur, weil sie Worte einwirkt- und durch die Wahl ihrer Worte sozusagen doppelt wirkt-, sondern auch, weil Tapisserien auf Webstühlen hergestellt werden und für gewöhlich eine viel schwerere materielle Ausstrahlung haben als Claudia Kallscheuers Arbeiten, die so leicht wirken, als könnte ein Luftzug sie in Bewegung bringen. Auch müsste man ihre Arbeiten eher in die Tradition der Stickerei stellen, eine der ältesten Handwerkskünste der Menschheit, dessen früheste Erzeugnisse unter anderem im Grab von Tutanchamun gefunden wurden, also weit in vorchristlicher Zeit. Ab dem 13. Jahrhundert war der Beruf des Stickers etabliert.
Überhaupt unterscheiden sich ihre Arbeiten von allem, was es an textiler Kunst gibt, die zur Zeit auch wieder viel Aufmerksamkeit bekommt. Gerade hat die Zeitschrift „Kunstforum“ eine Ausgabe zum Thema herausgebracht (Kunstforum Band 297, Textile Revivals). Dort werden Künstler wie Mike Kelley, Otobong Nkanga oder Margret Eicher genannt, die sich zwar alle in verschiedenen Formen mit textilen Stoffen auseinandersetzen, aber eine völlig andere Erzähl- und Vorgehensweise- symbolisch, collageartig oder auch szenenhaft- zeigen. Mit Worten gestaltete textile Arbeiten, so wie Claudia Kallscheuer sie schafft, sind in der Form nicht zu finden. Aber nicht nur das zeichnet ihre Arbeiten aus, sondern auch die Art der Entstehung.
Häufig werden nämlich Tapisserien, auch die von Künstlern, auf Webstühlen, teilweise nach digitalen Vorlagen, gefertigt und tragen im Material keinerlei persönliche Handschrift. Claudia Kallscheuer jedoch schafft ihre Arbeiten im handwerklichen Prozess und nimmt sich die Freiheit, Worte krumm und schief und andersfarbig zu setzen, dicht und eng, nicht vorraussehbar und schon gar nicht programmierbar. Inhaltlich geht es um Wortfetzen, scheinbare Belanglosigkeiten, Alltägliches, Small talk, Floskeln, das Wetter. Informationen aus allen möglichen Zusammenhängen prasseln auf das Gehirn des Lesenden ein. Das, was uns jeden Tag weitgehend unbewusst begegnet und doch der Schmierstoff der Konversation ist, macht sie zum Thema.
Man denkt also das sprunghafte Denken einer anderen Person mit und füllt die Worte mit eigenen Bildern. Ihre Arbeiten laden dazu ein, sehr lange in ihren Wortwirkereien herumzuspazieren, sie sind unglaublich dicht, sowohl inhaltlich als auch physisch, alles ist eng nebeneinander gesetzt. Als gestalterisches Element lässt sie die Fäden am Ende eines gestickten Wortes hängen und wählt wie eine Malerin, die mit Garnen statt mit Pinseln die Farben setzt, intuitiv und gleichzeitig bewusst ihre Farben aus. So ist ihre Ausbildung- sie hat erst Damenschneiderin gelernt und später Modedesign und Malerei studiert- in ihren Arbeiten spürbar und kein Zufall; ihre Arbeiten sind eine Synthese aus beidem. Ganz besonders ausgeprägt sind auch ihre handwerklichen Fähigkeiten, die die Voraussetzungen dafür sind, dass die Wortwirkereien eine so persönliche und berührende Ausstrahlung bekommen. Ihre Hand ist in den Arbeiten sehr präsent. Das Persönliche der Arbeiten rührt aus dieser Präsenz und aus dem her, was sie uns zu lesen und damit auch zu denken gibt, das viel frei setzt im eigenen Kopf, aber keine Aussagen trifft, sondern die eigene Phantasie in Schwung bringt. Ein freies bildnerisches Wortwirken begnet uns in Claudia Kallscheuers Arbeiten, gepaart mit den Möglichkeiten der Umsetzung mit der eigenen Hand – eine seltene Kombination.
Text: Vera Hilger