15.09. – 14.10.2023
In den bildhauerischen Arbeiten von Gesine Grundmann stoßen die materiellen Bedürfnisse des Menschen auf die metaphysischen Bedürfnisse der Dinge. Geprägt ist ihre Strategie dabei von einer gezielten Suspendierung des Identitätszwangs. Die Objekte und Skulpturen geben ihre materielle Beschaffenheit nur bedingt preis und propagieren den Zweifel. Gemeint ist die Kunst bei Gesine Grundmann als die Welt noch einmal. Jedoch nicht als eine andere Welt neben der bestehenden, sondern dieselbe, aber ganz anders.
Fokussiert zeigt die Ausstellung im kjubh e.V. eine konzentrierte Auswahl von schwarzen Arbeiten, die im Werk von Gesine Grundmann wie ein ‚roter Faden‘, immer mal wieder auftauchen. Der Eröffnungstermin mutiert somit unversehens zum ‚Black Friday‘. Prominent mag hierfür die schwarz beschichtete ‚Kleine Null‘ inmitten des Raums stehen. Von sogenannten Wirtschaftsexperten zum Fetisch bundesrepublikanischer Haushaltspolitik deklariert, behauptet die vermaledeite Schwarze Null hier ihr Terrain und verhindert als skulpturales Bollwerk selbstbewusst ein Abgleiten in die Roten Zahlen. Als Fetisch-Objekt steht ihr die Farbe Schwarz nur zu gut und animiert zu ausufernden Fantasien. Mit ihren, annähernd Körpergröße, erreichenden Maßen rückt einem dieses assoziationsgesättigte Gebilde, eigentlich ein leeres Nichts, gehörig auf die Pelle und gemahnt, den eigenen Haushalt auf den Prüfstand zu stellen.
Von der Finsterfarbe Schwarz wird auch der Schriftzug umfasst, welcher der Ausstellung ihren Titel verleiht. „GENUGGEKRIEGT“ – mit etwas Mühe entziffern wir dieses Wortgebilde. Auf den ersten Blick scheint auch hier ein ökonomischer Sachverhalt angesprochen. Eingebunden ist jedoch auch der Krieg und gemahnt momentan unmissverständlich an das von Russland entfesselte Kriegsgeschehen am Schwarzen Meer. Einmal auf die Fährte geführt, sind wir kaum noch in der Lage, die Arbeiten von Gesine Grundmann unbedarft als Formenspiele des bildhauerischen Gestaltens zu betrachten. Scheinbar ephemere Phänomene geraten in den Strudel multipler Deutungsmöglichkeiten. Zulässig ist eine Untersuchung der rein formalen Spannungsmomente der Arbeiten allemal. Anknüpfungspunkte gäbe es zuhauf.
Unbedarft kommt die Pfeilerarbeit ‚Territories‘ vielleicht zunächst daher. Vier übereinander gestapelte Kuben reichen bis sehr knapp unter die Decke des Ausstellungsraums. Das schwarze Quadrat wird in die dritte Dimension überführt und durch das Material der Bitumenwellplatten in Schwingung versetzt. Die zunächst klar erscheinende Form bekommt jedoch unversehens eine mobile Note und stellt die Stabilität des Pfeilers in Frage. Ein Bewegungsimpuls scheint von den Kuben auszugehen. Der kjubh ist daher sicherlich kein schlechter Ort für diese Setzung. Gezielt überführt Gesine Grundmann die Welt der Dinge in ein komplexes System räumlicher Relationen. An ihren Arbeiten haften die vielfältigsten Assoziationen und Allusionen von gesellschaftlichen Zusammenhängen und psychischer Fragilität. Auch schwarzer Humor kann mitunter Anstöße zur eigenen Verortung liefern.
Harald Uhr