IN BETWEEN BEYOND
1.4. bis 29.4. 2023
Der Ausstellungstitel „In Between Beyond“ konfrontiert uns mit einem paradox erschei-nenden
Zustand: Kann etwas, das dazwischen steht, auch darüber hinausgehen? Die Aussage ließe sich
augenblicklich auf den hiesigen Ort (Ausstellungsraum) und die Sache (Kunst) übertragen.
Vernachlässigen wir jedoch zunächst die nur allzu menschliche Frage nach dem konkreten Was und
Wo, befreien uns vom zwanghaften Wunsch nach Über-prüfbarkeit anhand einer rationaler Erklärung
und Auflösung und leisten weniger inneren Widerstand gegen die Vorstellung vom Widerspruch,
befinden wir uns genau dort, wo die Bildhauerin und Installationskünstlerin Hannah Hallermann den
Bogen spannt: in der Sphäre des Aushaltens von komplexen, mehrdeutigen Situationen und des
Verhandelns viel-stimmiger Meinungen in Bezug auf akute, bohrende Fragen der Zeit.
Dieses kleine Gedankenspiel soll dabei helfen, sich den Objekten im Raum anzunähern, ohne den
vorliegenden Text für Deutungsmöglichkeiten bemühen zu müssen. Bei den von Hannah Hallermann
geschaffenen Geräten und Apparaturen, handelt sich um zumeist aus zwei Objektteilen
zusammengesetzten Werkzeugen. Nutzbare Komponenten wie Bohr- und Saugspitzen, Muttern,
Schrauben, eine Axt, Greifarme und Seile versprechen Praktikabilität. Die atypische Verbindung der
einzelnen Elemente und ihre Ausführung in mitunter ver-größertem Maßstab wecken jedoch auch
Zweifel an der Handhabbarkeit der Instrumente. Sie haben in der Mitte ein aus elastischem farbigem
Silikon gefertigtes Verbindungsteil, das Biegsamkeit und Beweglichkeit in alle Richtungen suggeriert.
Weiche und fluide Stofflichkeit wird mit harten, widerstandsfähigen Materialien verkuppelt.
Modulartige Anschlussstellen evozieren Anpassungsfähigkeit entsprechend neuen
Aufgabenstellungen und Funktionen, denn sie bieten die Möglichkeit des manuellen Austauschs oder
Ersatzes und der Neu-kombination mit anderen Werkzeugaufsätzen. Das Potential des flexiblen
Einsatzes und der eigenen Veränderbarkeit je nach situativer Notwendigkeit ist den bildhauerischen
Formen quasi einverleibt. Die Enden bieten die Option sich zu verankern oder festgehalten zu
werden. Die Pufferzone im Zentrum fungiert dabei als Bindeglied: das nachgiebige Herzstück
vermittelt zwischen den divergierenden Kopfteilen. Die tatsächliche Utilität der Kunstwerke
Hallermanns muss dabei keinesfalls unter Beweis gestellt werden, denn sie verkörpern durch ihr
Erscheinungsbild, ihre Materialität und Fertigungsweise die Idee dessen, wozu sie in der Lage sein
können – und eben diese Erkenntnis genügt, um jeden Einzelnen von uns in die Lage zu versetzen,
handlungsfähig zu sein und sich von überholten Systemen zu lösen.
Die Ausstellung bietet ein ganzes Arsenal chimärenhafter Werkzeuge. Diese Assoziation beruht auf
der seit der Antike bestehenden und später auch in alchemistischen Kontexten genutzten Vorstellung
von der kraftverstärkenden Natur fiktiver Lebewesen, die Elemente unterschiedlicher Kreaturen in
sich vereinen. Anders als in überlieferten Mythen erschafft Hannah Hallermann jedoch keine
ungeheuerlichen, von Zerstörungswut getriebenen.
Geschöpfe, die eine Bedrohung der bestehenden Ordnung darstellen. Vielmehr adaptiert die
Künstlerin die Referenz auf übernatürliche Veranlagungen für ihr eigenes Bezugssystem und steigert
auf diese Weise den metaphorisch spielerischen Charakter ihrer Objekte. So stellt sich nicht zuletzt
die Frage, ob es sich dabei um mehr als nur nützliche Hilfsmittel handelt, die uns womöglich zu etwas
befähigen könnten, was unser eigenes Vermögen übersteigt.
Jede Zeit produziert ihre eigenen Monster. Symptomatische Kennzeichen unserer Gegenwart sind
die Gleichzeitigkeit, Unüberschaubarkeit und mediale Verfügbarkeit von Informationen und
Ereignissen in Echtzeit. Die auf diese Weise permanent vorhandene Kakophonie an Stimmen und
Geschehnissen löst einen Zustand kollektiver Überforderung der Gesellschaft aus, dem das
Individuum nicht gewachsen zu sein scheint. Existentielle Fragen nach der Möglichkeit des sozialen
Zusammenhalts stellen sich angesichts der Fülle an Anschauungen, der anhaltenden Furcht vor dem
Fremden und des Missbrauchs der Verwundbaren und Randständigen. Vor diesem Hintergrund
erscheinen Hannah Haller-manns Werke als Ausdruck einer aktiven Form des Widerstands. Sie
repräsentieren eine Alternative zu der einseitigen Sichtweise, Krisen als unabwendbares Schicksal
aufzufassen. Wir haben die Wahl und können uns entscheiden, Transformationen zuzulassen und
kontinuierlich mit ungewohnten Situationen kreativ umzugehen.
Anka Ziefer
München, März 2023
Hannah Hallermann (HAHA), 1982 in Nürnberg geboren, lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte
Bildende Kunst, Kunstgeschichte und Philosophie an der Kunstakademie Villa Arson in Nizza.
Anschließend erlangte sie ihren Meisterschüler an der Hochschule für Bildende Künste Dresden.
Ihre Arbeiten wurden in Mexiko, Kanada, Amerika und Europa gezeigt, darunter in der Ausstellung
Formspiel, Galerie Evelyn Drewes, Hamburg (2022), Still Alive im Albertinum, Dresden (2021),
STUDIO BERLIN, eine Zusammenarbeit des Berghains und der BOROS Foundation (2021),
Intersection in der Galerie FeldbuschWiesnerRudolph, Berlin (2020), Bis zum Ende des Sommers
krieg ich dich fit! (Einzelausstellung) im Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin (2018), dem
Kunstpreis „junger Westen“ (2017) in der Kunsthalle Recklinghausen, der Einrichtung Revolution in
der Sammlung Hoffmann, Berlin (2017/18), dem Kunstpreis „Haus am Kleistpark“ (2014/18), Four
Solo Shows (Einzelausstellung) im Kunstquartier Bethanien, Berlin (2014), Sonntag
(Einzelausstellung) im Landesmuseum Brandenburg (2014), L’ECLAT, Villa Arson, Nizza (2011)
oder Hermandades Escultóricas México-Alemania, Museo Fernando García Ponce MACAY in
Merida, Mexiko (2008).
Ihre Arbeiten sind Teil der Sammlung Hoffmann, Berlin, und der Staatlichen Kunstsammlung
Dresden. Hannah Hallermann wurde mit dem Pollock-Krasner Preis (2020), dem Neustart
Stipendium (2022), dem Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds (2016, 2020) und dem
Sonderstipendium Berlins (2020) ausgezeichnet.
2022 erschien die Monografie „Tools and Tales for Transformation” im Hatje Cantz Verlag.