02.04.-30.04.2022
Der Garten Gerken
Zwischen Form und Fläche hin- und herpendelnd oder tänzelnd entsteht bei Ina Gerken ein unauflösbares Werk, das in seiner künstlerischen Unangepasstheit überraschend und einzig-artig ist. Inmitten der gestischen Krakeleien und Schichtungen formen sich Schlieren, Knäuel, Raster, Strukturen, Muster, Wellen, Wolken, Streifen, Fächer und vieles mehr, deren Konsi-stenz und Kontingenz sprachlich so gut wie nicht beschreibbar ist. Sondern ihre Malerei weist eine unendliche visuelle Prägnanz auf, deren Formlosigkeit farbiger Formen die Quali-tät abstrakt ornamentaler Linienknäuel nur sehr ungenügend beschreibt. Natürliches Chaos oder chaotische Natur in all ihrer unnachahmlicher Schönheit, ein Blick in das Wesen der Dinge und Welt ohne ein Oben und Unten. Man könnte glauben, surreale Wesen, deren Ge-staltformen wir nur erahnen und nie benennen könnten, bewohnen Gerkens daraufhin merkwürdig organisch anmutende Bildwelten, die dann zugleich wieder in einen – wenn diese Allusion nicht doch zu gewagt ist – weiblich definierten amerikanisch anmutenden ab-strakten Expressionismus herüber schielen. Wilde Farbflächen, ohne erkennbare Motivation an klassische Kompositionsprinzipien anknüpfen zu wollen, vermitteln den Eindruck animisti-scher und atavistischer Gebundenheit der Künstlerin in den kunsthistorischen Kontext einer langen Bildtradition und wie selbstverständlich umgestülpt in ihre eigene soziale wie physi-sche Umgebung. Gerken löst bravourös jeden Ansatz einer figürlichen Komposition, deren Intimität sicherlich zu suchen wie zu vermuten ist, immer wieder in stupend organische Ab-straktionen auf. Manchmal dominiert die Zeichnung, das Zeichenhafte, mitunter ist es ein mehr malerisches Bild, sehr häufig geprägt von Monotypie- oder Papierabrissrezepturen.
Ina Gerkens Kunst zeugt immer verdeckt von einer intuitiven Bezugnahme auf die Kunstge-schichte, jedoch bleibt jeder Versuch einer dahingehenden Kategorisierung in Richtung Per Kirkeby oder Don Van Vliet, um nur zwei unter vielen anderen zu nennen, regelmäßig stec-ken in der reinen Allusion mit historischen Anleihen. Warum ich diese beiden nenne, und was im Dreiklang letztlich bleibt, ist der geologische ¬– und damit zeithistorische – Schnitt in die horizontal geschichtete Wirklichkeit unserer Elementarformen. Es handelt sich um eine Art Geologie des Blicks, Berge, Sedimente, Blätter, Farne, die immer wieder neu ans Licht tritt, wie auch der Sound eines Don Glen van Vliet unter dem Pseudonym Captain Beef-heart mit seiner experimentellen Rockmusik zwischen Blues, Avantgarde Jazz, Country, Fusi-on, Sprechgesang, Punk, Acid, Rockabilly die Klaviatur der Techniken und Stile erwei-tert. Das allgemeine Erkennen des unendlichen Potentials von Bild und Musik wird in diesem Dreiklang mit Ina Gerken wundersam in viele im besten Sinne des Wortes besinnliche (freudvolle bisweilen melancholische) Schwingungen versetzt. In dichte Bewegungen, die sie um das Bild vollführt und austariert, die uns innerlich bewegen und obendrein motivieren. Bild und Ton entfalten sich in unendlichen Klangfarben im unbegreiflichen Universum der Abstraktion. Ihre Gemälde laden ein zum Betrachten des Außen und Innen, zum Schauen der Malerei und der Welt, was uns still werden lässt. Pure Sinnesempfindung im ätherischen Erdreich. Ich empfehle dennoch ein lautes, intensives, langes Erblicken – live versteht sich, selig im Garten Gerken.