„Schritte zurück“
Die Arbeit ist getan, der letzte Pinselstrich gesetzt, ein paar Schritte zurück und das fertige Werk kann in Gänze betrachtet werden. Was aber, wenn etwas nicht stimmig ist? Kaum möglich, die Pinselstriche rückgängig zu machen. Sie bleiben eingeschrieben in die Biografie des Bildes, erzählen als materielles Gedächtnis von seiner Entstehungsgeschichte. Falls es aber doch gelingen sollte, das scheinbar Manifeste zu revidieren, kann denn Wiederholung ohne Wiederholung passieren? Lassen sich neue Antworten auf alte Fragen finden? Jasmin Schmidt und Johannes Listewnik setzen sich bereits seit längerer Zeit mit dem Begriff der Regression auseinander. Schmidts Malerei zum Beispiel befindet sich im ständigen vor und zurück, wenn in einem sukzessiven Prozess Farbauftrag und Auswaschung sich abwechseln. Ähnlich Listewnik, in dessen Werken vergleichbare oder sogar dieselben Motive wiederholt aufgegriffen werden. So findet eine Rückkehr zur Ausgangssituation statt, doch führt diese unter veränderten Bedingungen zu einem Perspektivwechsel. Die Ausstellung „Schritte zurück“ bringt beide künstlerischen Positionen zusammen, bildet eine Echokammer der Reflexion und Rekontextualisierung. Als eine Art Rückzugsort gleicht sie einer Parenthese, ist unerwartete Unterbrechung des Alltags.
Ein Regalsystem lässt die Besucher*innen sich wie zuhause fühlen, vermittelt Heimeligkeit und dient Schmidt als Display ihrer Arbeiten. Mittels unterschiedlich großer Fächer erhalten die Zeichnungen sowohl eine formale als auch eine inhaltliche Rahmung. Denn das in den 1960/70er-Jahren häufig verwendete „Royal System“ des Designers Poul Cadovius verleiht den im gleichen Holz gerahmten Papierarbeiten unmittelbar eine bestimmte zeitliche Zuordnung. Bezüge entstehen aber auch zwischen den Zeichnungen selbst, die Mode und Design verschiedener Generation aufgreifen. Muster lagern über Falten und bilden feine Verästelungen. Ein ähnliches Ordnungssystem liegt Schmidts Arbeit „Keine Messer, wo viele Menschen sind“ zugrunde. Es zeigt eine Sammlung von zwölf Messern, systematisch in vier Gruppen sortiert, mit Kreidefarbe auf dunkelblaues Mischgewebe aufgebracht. Von dem Bild geht eine sonderbare Form der Bedrohlichkeit aus, die sich seltsam geordnet anfühlt. Die Betrachter*innen werden über die Stichwaffen jedoch im Zweifel gelassen. Nach welchem gemeinsamen Kriterium wurden sie ausgewählt? Handelt es sich um Antiquitäten oder aber Beweismittel?
Während sich bei Schmidt disparate Stoffe aneinander legen oder sich zahlreiche Gemälde auf der Rückseite von Trägermaterialien mit eigener Historie wie beispielsweise Schultafeln befinden, schafft Listewnik hybride Collagen aus Bildern, Dokumenten, Zitaten und Erinnerungen, oftmals auf Kalenderseiten. Doch nicht nur formal wird Schichtung betrieben, sondern auch inhaltlich. So greift der Künstler in 80 auf der Wand aufflammenden Dias mit 48 Motiven auf einen Katalog aus Lithografien von Marc Chagalls Interpretation der Liebesgeschichte zwischen Daphnis und Chloe zurück. Ein fortlaufendes Narrativ, das bedeckt von schnellen Übermalungen nur fragmentarisch erkennbar bleibt. Zudem verwendet Listewnik ein eigens entwickeltes Zahlensystem für Datumsangaben, womit sich Erinnerungen numerisch formalisieren lassen. Eine Schmidt ähnliche analytische Vorgehensweise, die sich auch im Scannen, Vergrößern und Nachbearbeiten von vorgefundenen Materialien widerspiegelt. Die Arbeiten beider Künstler*innen stehen für sich allein, werden aber in der Ausstellung zusammengeführt, wenn sich zum Beispiel Zeilen einer lyrischen Notiz aus Listewniks Tagebuch mit dem als Display von Schmidt verwendeten Regal verbinden. Ein neues Bild entsteht in der dialogisch angeordneten Verknüpfung, lässt scheinbar feste Grenzen zwischen Zwei- und Dreidimensionalität, Dekoration und Kunst permeabel werden.
Doch nicht nur auf die eigene Biografie, das künstlerische Oeuvre, sondern auch auf das gesellschaftliche Erbe lässt sich der Blick zurück wenden. „Klimakiller und Wachstumsmotor treffen sich in einer Bar“ steht in großen Lettern auf der Wand geschrieben, begleitet das Eintreten sowie Verlassen der Ausstellung. In der Architektur des kjubh Kunstvereins entsteht somit in der Zusammenschau der Arbeiten ein zeitloses Heim, das an das Bürgertum des 20. Jahrhunderts erinnert. Eine Zeit, in der – ähnlich wie heute – ein vermeintlich geordnetes Innen auf ein chaotisches Außen trifft. Wiederholt sich Geschichte? Und können wir durch das Wissen um die Vergangenheit neue, gar bessere Antworten finden? „Schritte zurück“ lässt Gegenwärtiges auf Vergangenes treffen, uns janusköpfig gleichsam nach vorne wie zurück blicken. Während wir uns in der Ausstellung in der Wachstumsfuge irgendwo zwischen Erinnern und Vergessen befinden, können wir uns mittels Rückkehr und Wiederkehr der Logik des ewigen Fortschritts für einen Moment verwehren.
Julia Stellmann
Jasmin Schmidt (*1981 in Regensburg), studierte Kultur und Gesellschaft Afrikas an der Universität Bayreuth, sowie Malerei an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg und war Meisterschülerin von Thomas Hartmann. Sie war Lehrkraft für Malerei an der AdBK Nürnberg und wurde u.a. mit dem Kulturpreis der Stadt Nürnberg, dem Bayerischen Kunstförderpreis und dem Kulturpreis Bayern ausgezeichnet.
Johannes Listewnik (*1988 in Leipzig), studierte in Leipzig Kunstgeschichte und Germanistik, sowie Malerei an Akademie der bildenden Künste Nürnberg und der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Er war Meisterschüler von Thomas Hartmann (AdbK) und Christoph Ruckhäberle (HGB). Er war Mitglied in der Kunstgruppe “Klasse 3h” von 2008 bis 2020, übernahm von 2019 bis 2024 die Galerieleitung der Produzent:innen-Galerie b2_ in Leipzig, gründete 2020 den Verlag Marian Arnd und ist seit 2023 Künstler der Galerie Philipp Anders, Leipzig.