In der Ausstellung hand to hand von Samuel Henne im kjubh scheint alles in eine so subtile wie unumstößliche Ordnung gebracht. Diese bezieht die Betrachtenden immersiv mit ein und weist ihnen als bewegliche Objekte im Raum eine Rolle im Transfer zwischen den einzelnen Partien der Installation zu. Die Exponate, gerahmte Fine Art Prints und Polaroids in tiefen Holzrahmen, die ihnen objekthaften Charakter verleihen, sind mittels partieller, stark kontrastierender Wandbemalungen in eine Inszenierung gebracht, die die fensterlosen Raumzonen rhythmisiert.
Mit dem Medium der Farbe werden die teils kuriosen architektonischen Besonderheiten des Raums hervorgehoben, dessen skulpturale Aspekte betont und gleichsam „benutzt“, um die zweidimensionalen Werke in eine dritte Dimension zu überführen. In Umkehrung erfahren innerhalb der Arbeiten lose verteilte dreidimensionale Versatzstücke in der anschließenden Überführung ins Bild eine Rückbindung auf die Fläche. In den Bildern finden sich mit penibelster Sorgfalt zu scheinbar maximaler Zufälligkeit arrangierte plastische Formen, Screenshots, Fotoreproduktionen, flache wie gerollte Papierbögen, die innerhalb des Bildraums wiederum mit sorgfältig austarierten Farbsetzungen in eine Art Display eingefügt sind. Zugrunde liegt diesen Arbeiten eine perfektionistische Detailplanung, ein minutiös durchdachter Bildaufbau über Wochen im Studio, um am Ende eine möglichst beiläufige und spontane Wirkung zu erzielen. Bei näherer Betrachtung lösen sich dabei alle vermeintlich festen räumlichen wie inhaltlichen Bedeutungsebenen auf und es offenbart sich eine inhaltliche Vielschichtigkeit in den Bildern, die gängige Verortungen und Vereinnahmungen insbesondere im Kontext musealer Setzungen und didaktischer Erklärungsmuster infrage stellt: Welche Mechanismen liegen der Konstruktion von Bildern generell und der eigenen künstlerischen Bildgenese zugrunde?
In früheren Arbeiten interessierte Henne u. a. das bewegte Bild; die Konstruktion von bildlich-szenischen Momenten und Befragung an Räumlichkeit hat ihn von dort zum Medium der Fotografie geführt. Dieses erlaubt dem Künstler Anknüpfungspunkte an Malerei und Skulptur, insbesondere in der anschließenden Überführung der fotografischen Arbeiten in ein räumliches Setting. Das Bild wird aus dem eigenen Rahmen in einen erweiterten Rahmen des faktischen Raums transferiert, in eine Korrespondenz zwischen dem Bildraum der Arbeiten und dem Ausstellungsraum gebracht. So kommt es zu einer Einflussnahme und wechselseitigen Beeinflussung durch bestimmte Anordnungen, wie eben auch die fotografische Dokumentation selbst immer auch schon eine Interpretation impliziert, die dem Gezeigten nicht unbedingt immanent ist. Samuel Henne beschreibt sein Vorgehen als Versuch der „Umwanderung“ des Objekts mit der Fotografie, auf der Basis seiner intensiven Beschäftigung mit Publikationen und Dokumentationen von Skulptur durch Fotografie und seiner Reflexion über die Möglichkeiten und Grenzen der Wiedergabe dreidimensionaler Schöpfungen mittels Fotografie.
Die Werkreihe hand to hand (2019-2023) mündet in variierenden Ausstellungssetzungen in unterschiedliche Arrangements ihrer Bestandteile, die immer wieder in modularer Komposition an die jeweiligen Präsentationsumfelder angepasst und modifiziert werden. Das serielle „Abarbeiten“ einer Thematik oder Idee führt den Künstler zur stetig präziseren Bewusstwerdung und Kontrolle der bildgebenden Parameter. Kernthema ist die Reproduzierbarkeit des manifesten Arte“fakt“es in unterschiedlichen Medien von der Replik über die fotografische Abbildung bis hin zu seiner Digitalisierung und dreidimensionalen Rekonstruktion.
Bei einer Präsentation der Werkreihe im Kunstverein Göttingen wurden die Arbeiten im wortwörtlichen Sinne in der Shifts &Tilts betitelten Ausstellung mittels der Farbgestaltungen der Wände in Verschiebungen und in Kippungen ihrer Bedeutungszuordnungen gebracht. In ähnlicher Weise versetzt Henne auch in der im kjubh gezeigten Arbeit untitled (Bronze age no more) herkömmliche Zuweisungen von Original und Kopie in Bewegung, ausgehend von der Auguste Rodin zugeschriebenen Plastik einer Hand mit dem Titel Hand of God (entstanden 1896–1902). Die Bronze, die als Artefakt in verschiedenen Bildern der Serie hand to hand immer wieder auftaucht, zeigt einen Abguss von Rodins Hand, den sein Assistent abgenommen hat, ist also keine „Skulptur“ des Künstlers im eigentlichen Sinne. Diese hält einen von Rodin modellierten weiblichen Torso und so fließen Replik und Original in untrennbarer Weise ineinander. Dennoch wird die Skulptur als Werk Rodins geführt und dekonstruiert diese Zuschreibung eigentlich schon im Entstehungsprozess durch die gleichzeitige Zurücknahme wie Behauptung von Autorenschaft. Der hier transportierte männlich-patriarchalische Schöpfungsmythos erscheint umso fragwürdiger, als es deutliche Indizien gibt, dass Rodins Lebensgefährtin, die Künstlerin Camille Claudel, „hand to hand“ an zahlreichen seiner Werke mitgearbeitet hat. Henne erweitert den komplexen Zuschreibungskontext noch um eine Ebene, indem er eine Bronze-Kopie dieser Plastik „nach Rodin“ im Internet erwirbt, deren pseudo-wertige Bronze-Patina mit einem Überzug aus dunkelblauem Plastikspray tilgt und nun dieses an Pop-Art erinnernde Objekt in ein neuerliches Setting überführt. Dort hält eine weibliche Figur nun wiederum das männliche „Werkzeug des Geistes“ mit dem Torso in ihrer Hand. So verschieben sich die genderspezifischen Zuweisungen von Genius und Schöpfertum und vollzieht sich assoziativ eine „Übergabe des Staffelstabes“ zwischen Geschlechtern, klassischen künstlerischen Methoden sowie analogen und digitalen Bildererzeugungsmedien und -verfahren ohne festgelegte Richtung.
Birgit Laskowski
Auch zum Austausch „hand to hand“ zwischen freien Ausstellungsräumen verschiedener Städte von ZERO FOLD aus Hannover in den kjubh nach Köln eingeladen, wird Samuel Henne in einem Artist Talk über die Ausstellung mit der Kuratorin Birgit Laskowski auch das Verhältnis der eigenen künstlerischen Arbeit zu seinen Aktivitäten als Projektraum-Betreiber und Herausgeber künstlerischer Publikationen beleuchten.
Samuel Henne (*1982), studierte an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und schloss als Meisterschüler von Prof. Dörte Eißfeldt ab. Neben Einzelausstellungen u.a. im Kunstverein Hannover; Münchner Stadtmuseum; Deutsches Haus der New York University, nahm er an zahlreichen institutionellen Gruppenausstellungen teil, u.a. im NRW-Forum, Düsseldorf; den Deichtorhallen, Hamburg und dem Goethe Institut Washington. Hennes Arbeiten sind mehrfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem einjährigen Residenzstipendium am International Studio & Curatorial Program (ISCP) in New York und dem Preis des Kunstverein Hannover (Atelierstipendium Villa Minimo) und zuletzt dem Stipendium der Stiftung Kunstfonds (2024). Seit 2016 ist Henne Betreiber und künstlerischer Leiter des ad/ad – Project Space in Hannover (www.instagram.com/adadprojectspace) und Palm Press Publishing, dem Publikations-Imprint von ad/ad. Neben weiteren Projekten war Henne 2022 Initiator und Mitorganisator des The Shelf – Art Book Festival, das in Kooperation mit dem Sprengel Museum Hannover realisiert wurde.